"Unsere Verkehrswege verfallen zusehends. Das muss gestoppt werden!" appellierte Joachim Enenkel, Präsidiumsmitglied des Deutschen Verkehrsforums (DVF) und Mitglied des Vorstandes Bilfinger SE, an die neue Bundesregierung.

"Die im Koalitionsvertrag angekündigten Finanzierungs- und Strukturreformen der Verkehrsinfrastruktur müssen jetzt durch konkrete Maßnahmen umgesetzt werden", so Enenkel beim Parlamentarischen Abend des DVF. "Im Namen der deutschen Verkehrswirtschaft hat das DVF mit seinem Strategiepapier "Zukunftsprogramm Verkehrsinfrastruktur" pragmatische Maßnahmen für den Erhalt und Ausbau der Infrastruktur erarbeitet. Die Bundesregierung ist aufgerufen, die Chance einer neuen Legislaturperiode zu nutzen und jetzt zu handeln!"

Werteverzehr stoppen

"Beim Bund müssen doch alle Alarmglocken schrillen, wenn er den Werteverzehr des volkswirtschaftlichen Allgemeingutes Verkehrsinfrastruktur sieht: Bei einem Vermögenswert von rund 1,1 Billionen Euro verliert Deutschland täglich 13 Millionen Euro seiner Infrastrukturwerte", betonte DVF-Präsidiumsmitglied Enenkel. "Es muss schon zu Beginn eines Projekts auf eine effiziente Ausschreibung und Vergabe geachtet werden. Nicht das billigste, sondern das wirtschaftlichste Angebot muss den Zuschlag erhalten. Die Vergaberichtlinien der Öffentlichen Hand sollten entsprechend erweitert werden, um die Vergabe an den wirtschaftlichsten Anbieter überhaupt möglich zu machen."

Enak Ferlemann MdB, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur sah die enormen Herausforderungen ähnlich: "Deutschlands Verkehrsinfrastruktur hat einen Spitzenplatz in Europa. Ich möchte und werde mich dafür einsetzen, dass unser Land seinen Standortvorteil behält. Aufgabe der bereits eingeleiteten Bundesverkehrswegeplanung 2015 bis 2030 ist es sorgfältig zu ermitteln, wo in den nächsten Jahren dringende Investitionen nötig sind. Zudem ist für mich von großer Bedeutung, dass die Finanzierung des Erhalts und des Aus- und Neubaus unserer Infrastruktur auf eine verlässliche und breite Grundlage gestellt wird." Die Priorisierung werde sich auf folgende vier Bereiche konzentrieren: Engpassbeseitigung, Lückenschlüsse, Seehafen-Hinterlandanbindung und Transeuropäische Verkehrsachsen.

Der Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, Michael Groschek, richtete sich an den Bund, den Werteverzehr zu stoppen: "Ich erwarte auch vom Bund konsequente Anstrengungen, um den dramatischen Sanierungsstau in der Verkehrsinfrastruktur aufzulösen."

Ähnlich sah es Martin Burkert MdB, Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr und Digitale Infrastruktur des Deutschen Bundestages: "Nach Jahrzehnten des Netzausbaus steht deshalb heute der Substanzerhalt an erster Stelle. In besonders dringende, überregional bedeutsame Projekte im neuen Bundesverkehrswegeplan sollen 80 Prozent der Mittel für den Neu- und Ausbau fließen. Dazu zählen überlastete Verkehrsknoten, Hauptverkehrsachsen und Seehafenhinterlandanbindungen sowie die Schließung von Lücken und Engpässe im Netz." Es liege in der Natur der Sache, dass es bei der Priorisierung durch den Bundesverkehrswegeplan in den Regionen "viel Schmerzen" geben werde.

Erste Schritte zur überjährigen Mittelverwendung

Norbert Barthle MdB, Sprecher der Arbeitsgruppe Haushalt der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: "Schon derzeit sind Investitionsausgaben haushaltsrechtlich übertragbar, so dass sie überjährig genutzt werden können. So gebildete Ausgabereste sind jedoch in der Regel vom jeweiligen Ministerium bei der Inanspruchnahme im eigenen Bereich einzusparen. Ich könnte mir vorstellen, dass das Bundesfinanzministerium im Bereich Verkehr verstärkt Ausnahmen zulässt. Damit würde ein verkehrspolitisch sinnvoller und flexibler Einsatz von Investitionsmitteln ermöglicht. Natürlich könnte dieses Ziel auch mit dem Instrument der Selbstbewirtschaftung erreicht werden, doch da bin ich skeptisch. Schattenhaushalte und Fonds innerhalb von Einzelplänen mögen wir Haushälter gar nicht, ebenso wenig der Bundesrechungshof."

Die Übertragung von nicht verbauten Investitionen auf das nächste Haushaltsjahr hielt DVF-Präsidiumsmitglied Enenkel für besonders wichtig: "Dies wäre ein erster wichtiger Reformschritt, denn ein jährlicher Planungshorizont im Verkehrshaushalt ist nicht mehr zeitgemäß. Infrastrukturprojekte können meist nur rechtzeitig angestoßen, geplant und gebaut werden, wenn über mehrere Jahre verbindlich festgelegt ist, wie viel Geld zur Verfügung steht. Daher brauchen wir die permanente Überjährigkeit und mehrjährige Investitionsbudgets. Mit einer solchen Planungssicherheit und Flexibilität kann günstiger und zügiger gebaut und erhalten werden."

Die von Barthle angesprochene Verlagerung nicht verbauter Mittel jeweils über die nächste Jahresgrenze hinaus dürfe daher nur der Anfang sein, meinte Enenkel. "Wenn die Wirtschaft die Sicherheit einer über Jahre hinweg konstanten hohen Investitionslinie bekommt, dann kann sie auch die notwendigen Planungs- und Ingenieurskapazitäten schaffen, um diese Mittel zu verbauen."

Mehr Geld für Verkehrswege

Die Verkehrspolitiker waren sich einig, dass mehr Geld in die Infrastruktur investiert werden müsse. "Wir brauchen eine Gemeinschaftsinitiative aller Beteiligten unter der Überschrift: Wir reparieren Deutschland. Das bedeutet, dass der Bund mehr Geld zur Verfügung stellen muss. Das bedeutet aber auch, dass er die Finanzierung reformiert. Sie muss überjährig und verkehrsträgerübergreifend ausgestaltet werden. Gleichzeitig brauchen wir einen Finanzierungsvorrang nach Problemlage wie bei der Brückensanierung. Und der Bund muss sich in angemessener Weise an den steigenden Planungskosten beteiligen", so Groschek vor dem vollbesetzten Publikum.

Das notwendige Budget für den Bundesverkehrshaushalt bezifferte Enenkel auf 15 Milliarden Euro jährlich, mittelfristig und dauerhaft. Dies sei der Mindestbedarf für Erhalt, Aus- und Neubau der Bundesverkehrswege. Ferner solle der Bund die Vielzahl von Hindernissen in seinem politischen und administrativen System beseitigen. Dadurch könne das Geld effizienter eingesetzt werden.

Im Laufe der Diskussion setzte sich Burkert genauso für höhere Investitionen ein: "Unsere Verkehrsinfrastruktur braucht eine verlässliche und nachhaltige Finanzierungsgrundlage. Entscheidend ist, dass, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, mehr Geld für den Verkehr mobilisiert wird, denn der Sanierungsbedarf ist riesig, zum Beispiel bei den Eisenbahn- und Straßenbrücken." Jeder Euro, der in die Verkehrsinfrastruktur fließe sei "ein guter Euro".

Staatssekretär Ferlemann pflichtete dem bei: "Die Investitionen in die Verkehrswege müssen auf hohem Niveau abgesichert werden. Mit der althergebrachten Haushaltsfinanzierung allein wird uns das nicht gelingen. Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung stellt hierzu klare Weichen. Ein wichtiger Schritt ist unzweifelhaft die Erhöhung der Haushaltsmittel. Die begrenzten Möglichkeiten des Haushaltes erfordern es aber auch, andere Quellen der Finanzierung in Zukunft verstärkt zu nutzen."