Die Bahnindustrie in Deutschland zieht eine weitgehend positive Bilanz für das erste Halbjahr 2012. Das gab der Verband der Bahnindustrie in Deutschland (VDB) heute auf seiner Halbjahrespressekonferenz in Berlin bekannt. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres erzielten die Bahntechnikhersteller einen Umsatz von 5,3 Milliarden Euro, fast 13 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum und dem zweithöchsten Wert in der Branchengeschichte. Auch die Bestellungen erreichten mit fast sechs Milliarden Euro eine respektable Höhe. Davon entfielen 4,5 Milliarden Euro auf Schienenfahrzeuge. Die Zahl der Beschäftigten stieg in der Branche um über drei Prozent auf rund 50.000. Sorgen bereitet der Bahnindustrie hingegen nach wie vor das auf niedrigem Niveau nahezu stagnierende Geschäft mit Infrastrukturausrüstungen, wie Gleisen, Weichen, Stellwerken oder Signaltechnik.

Verbandspräsident Michael Clausecker äußerte sich vor dem Hintergrund der soliden Wirtschaftsentwicklung des ersten Halbjahres zuversichtlich, dass die Bahnindustrie über den gesamten Jahresverlauf wieder einen Umsatz oberhalb der Zehn-Milliarden-Euro-Marke erreichen werde. Dafür sprächen auch die insgesamt gut gefüllten Auftragsbücher der Branche. „Bei der Entwicklung des Umsatzes erwarten wir aufgrund der hohen Auftragseingänge, die es abzuarbeiten gilt, in den nächsten zwei Jahren eine leichte Steigerung", sagte Clausecker. Die Nachfrageentwicklung bezeichnete er jedoch als „unsicher". „Der Schienengüterverkehr in Europa und in Deutschland zeigt Schwächen. Auch allgemein prognostizieren die jüngsten weltweiten Konjunkturdaten eine weiter abnehmende Wirtschaftsleistung. Hinzu kommt die nur schwer absehbare Entwicklung der Schuldenkrisen im Euroraum und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Bahnindustrie", gab Clausecker zu bedenken.

Infrastrukturgeschäft als notorisches Sorgenkind der Branche

Dreiviertel des Umsatzes gewann die heimische Bahnindustrie im ersten Halbjahr 2012 mit Schienenfahrzeugen sowie den dazugehörenden Komponenten und Subsystemen, ein Viertel mit Infrastrukturausrüstungen. Das Geschäft mit Zügen stieg um gut 14 Prozent auf 4 Milliarden Euro. Volumenstärker ist dabei das Auslandsgeschäft mit 2,2 Milliarden Euro bei einer nur moderaten Entwicklung. Stärker zugelegt hat das Inlandsgeschäft: Es stieg um rund 29 Prozent auf 1,8 Milliarden Euro.

Das Geschäft mit Infrastrukturausrüstungen leidet unverändert unter einer notorischen Schwäche und stagniert nahezu auf niedrigem Niveau. Das Gesamtvolumen liegt im ersten Halbjahr bei nur 1,3 Milliarden Euro. In Deutschland verzeichneten die Bahntechnikhersteller einen Umsatz in Höhe von 800 Millionen Euro, wie in den Vorgängerhalbjahren 2011 und 2010 auch. Grund für diese Stagnation sei die starke Abhängigkeit des heimischen Infrastrukturgeschäftes von der öffentlichen Finanzausstattung. Die wird derzeit für das Schienenbestandsnetz in Deutschland für die Zeit ab 2014 neu verhandelt.

Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung weiterentwickeln

Der Verband empfiehlt zwar die Fortsetzung der dafür eingesetzten „Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung" (LuFV); VDB-Hauptgeschäftsführer Ronald Pörner forderte aber eine Aufstockung der jährlichen Finanzmittel von 2,5 auf gut 3 Milliarden Euro, um so zumindest die Inflation seit dem Jahr 2001 ausgleichen zu können. Auf dieses Jahr gehen die für die LuFV bis heute veranschlagten Finanzmittel zurück. Außerdem müsse der Zustand und die uneingeschränkte Nutzbarkeit des Netzes vollständig durch Qualitätskennzahlen bewertet werden. „Das ist bislang aus Sicht des VDB nicht in ausreichendem Maße der Fall", sagte Pörner. „Deshalb sollten die Qualitätskennzahlen künftig erweitert werden, zum Beispiel um die Bewertung des Fahrwegzustandes und des Anlagenalters."

Zulassung reformbedürftig

Sorgen bereiten der Branche auch die Zulassungsprozesse von Bahntechnik in Deutschland. „Sie dauern für alle Beteiligten zu lange und sind für die Hersteller zu teuer", kritisierte Verbandspräsident Clausecker. „Die Zulassungsprozesse in Deutschland binden somit in hohem Maße industrielle Ressourcen und behindern die Wettbewerbsfähigkeit der Bahntechnikhersteller in Deutschland." Auch seien die wichtigsten Teile des „Handbuchs Eisenbahnfahrzeuge" vom Mai 2011 zur Vereinfachung der Zulassungsverfahren noch nicht durch den Gesetzgeber in Kraft gesetzt. Sobald das voraussichtlich Ende November 2012 im Bundesrat geschehen sei, müsse sich eine umfassende Reform der Zulassungspraxis in Deutschland anschließen.