Nach einem intensiven Dialog im Rahmen eines Workshops mit ca. 90 Teilnehmer/-innen mit Vertreter/-innen von Verkehrsministerium, Verkehrsunternehmen, Verkehrsverbünden, Bahnbediensteten, Bahnindustrie und der Fahrgastvertretung probahn ÖSTERREICH gab es viel Übereinstimmung. AK, Gewerkschaft vida und probahn ÖSTERREICH verständigten sich auf eine gemeinsame Resolution (s. Beilage), dass das von der EU-Kommission vorgelegte 4. Eisenbahn-Paket so nicht beschlossen werden darf.
Verwundert zeigten sich alle Beteiligten, auch der aus München angereiste Ministerialdirigent a.D. Dieter Wellner, der als Vater der Bahnliberalisierung in Bayern gilt, dass die EU-Kommission den im Jahr 2007 errungenen Kompromiss in der PSO-Verordnung (1370/2007/EG) – „Public Service Obligations" – mit dem 4. Eisenbahnpaket in Frage stellt. Das Paket sieht u.a. eine verpflichtende Ausschreibung aller Schienenverkehre vor. Damit würde die Wahlfreiheit zwischen Direktvergabe und Ausschreibung fallen.
Die Frage stellt sich, ob diese Vorgangsweise im Sinne und zum Wohle der Bahnkunden ist. Dort, wo die Verkehrsdienste optimal funktionieren und eine hohe Fahrgastzufriedenheit besteht, ist eine verpflichtende Neuausschreibung kontraproduktiv und führt zu Konflikten zwischen Verkehrsunternehmen und Bahnkunden. Hier muss eine Direktvergabe weiter möglich sein. Eine Vergabe nach Billigstbieter-Prinzip mindert die Qualität des Reisens.
Sollte es die Absicht der EU-Kommission bzw. starker Lobbies in Brüssel sein, ein Prinzip der Billigstbieter statt der Bestbieter einzuführen, ist das nicht im Sinne der Fahrgäste. Einsparungen im Bahnverkehr lassen sich nur durch Lohndumping erzielen, was wiederum auf die Motivation und Ausbildung der Bediensteten fatale Auswirkungen hätte, die die Bahnkunden zu spüren bekämen. Durch Personaleinsparungen wäre auch die Sicherheit der Bahnkunden gefährdet.
Das im 4. Eisenbahnpaket vorgesehene „Unbundling", das eine noch striktere Trennung von Absatz und Infrastruktur von integrierten Eisenbahnunternehmen vorsieht, würde die Synergieeffekte zwischen beiden Bereichen schmälern und das Gesamtsystem Bahn ineffzienter machen. Selbst kleinere Bahnunternehmen wie die Salzburger Lokalbahn wären gezwungen, ihre Geschäftsbereiche strikt zu trennen und damit ihre Verwaltungen aufblähen zu müssen. Den steigenden Kostendruck würden die Fahrgäste zu spüren bekommen, Tariferhöhungen, Fahrplanrücknahmen, niedrigere Qualitätsstandards etc. wären die Folge.
Aus Fahrgastsicht ist auch ein Fleckerlteppich an Bahnunternehmen abzulehnen, weil dadurch Integrale Taktfahrpläne schwerer umzusetzen sind und sich der schon bestehende Tarif-Wirrwarr weiter verstärkt.
Eine Ausschreibung einstellungsbedrohter Regionalbahnen macht allerdings Sinn, wenn es dafür ein faires Wettbewerbs-Modell gibt und nicht so wie in der Vergangenheit einzelne ÖBB-Strecken unter formalen Bedingungen ausgeschrieben wurden, die für Interessenten nicht erfüllbar waren (Beispiel Ybbstalbahn). Hier mag Deutschland Vorbild sein, das den Ländern durch ein eigenes Nahverkehrsgesetz und ein Gemeindeverkehrs-finanzierungsgesetz die nötigen Finanzmittel zur Verfügung stellt und ein faire Ausschreibung ermöglicht.
Die Fahrgastvertretung ist sich mit der Gewerkschaft vida und der Arbeiterkammer einig, dass es seitens der Bundesregierung, aber auch der österreichischen EU-Abgeordneten nicht nur ein klares NEIN gegen das 4. Eisenbahnpaket geben muss, sondern auch eine entsprechende Lobbyarbeit in Brüssel erfolgen muss.
Nachdem auch die Wirtschaftskammer in den Chor „SO NICHT!" einstimmt, müssten eigentlich auch alle Landeshauptleute und Landesregierungen entschieden dagegen auftreten, soll die Einhelligkeit nicht trügerisch sein. Es ist bekannt, dass einige Länder wie Salzburg überlegen, nach 2019 (Ablauf des Verkehrsdienstevertrages) ihren Schienen-Nahverkehr unter dem Motto „wir bekommen es billiger" ausschreiben zu wollen – auch dort, wo eine hohe Fahrgastzufriedenheit herrscht!