An ihrer Jubiläums-Generalversammlung aus Anlass des 100-jährigen Bestehens des VAP haben die Verlader deutlich gemacht, dass die künftige Entwicklung des Schienengüterverkehrs an einem Scheideweg steht. In seiner Präsidialansprache plädierte der Präsident des VAP, Franz Steinegger, für einen Ausbau der Infrastruktur, um der steigenden Mobilitätsnachfrage folgen zu können, und hielt fest, dass sich die verladende Wirtschaft einen Ausbau von Schiene und Strasse wünsche. An einer Medienkonferenz erläuterten Vertreter des VAP wie laufend schärfere Sicherheitsauflagen und technische Vorschriften, steigende finanzielle Belastungen durch höhere Trassenpreise oder zu wenig nachfragegerechte Trassen es immer schwieriger machen, den Güterverkehr auf der Schiene zu halten, geschweige zu erhöhen und damit die Strasse zu entlasten. Die Festschrift zum 100jährigen Jubiläum des VAP trägt denn auch den unmissverständlichen Titel „Wettbewerbsfähige Güterbahn – Vom Wunschtraum zur Wirklichkeit".
Der Güterverkehr auf der Schiene steht an einem Wendepunkt. Darin waren sich die zahlreich anwesenden Spitzenvertreter der Schweizer Wirtschaft an ihrer Jubiläums-Veranstaltung aus Anlass des 100-jährigen Bestehens des VAP einig. Laufend schärfere Sicherheitsauflagen und technische Vorschriften, steigende finanzielle Belastungen durch höhere Trassenpreise, zu wenig nachfragegerechte Trassen, einseitige Förderung des Personenverkehrs, geringe Mitbestimmung bei der Netzplanung etc. behindern den Bahngüterverkehr. Seine künftige Entwicklung und somit auch die Entlastung der Strasse vom Schwerverkehr sind die grosse verkehrspolitische Herausforderung, der sich die Mitglieder des VAP jeden Tag stellen, wenn sie entscheiden, welchem Verkehrsträger sie ihre Güter zum Transport anvertrauen.
Der Präsident des jubilierenden Verbandes der verladenden Wirtschaft, Franz Steinegger, fokussierte in seiner Präsidialansprache die nach wie vor steigende Mobilitätsnachfrage und stellte die Frage in den Raum, ob der Ausbau der Infrastruktur bezüglich Strasse und Schiene dieser zu folgen vermag. Aus finanziellen Gründen, aber auch Gründen der Raumentwicklung und der Ökologie sowie wegen Bewilligungsverfahren seien wir mit Knappheitsfragen konfrontiert.
Es gebe viel Planung und viele Konzepte. Die meisten gingen bis 2030. Das strategische Entwicklungsprogramm Bahninfrastruktur (STEP) habe einen Zeithorizont bis 2050. Der Bundesbeschluss über die Finanzierung und den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur, FABI, gehe mit einem ersten Ausbauschritt über 3,5 Milliarden bis 2025. Die Finanzierung erfolge über einen Bahninfrastrukturfonds (BIF), ausgehend vom bereits bestehenden FinöV-Fonds. Bei der Strasse gebe es mit dem Bundesbeschluss über das Nationalstrassennetz ebenfalls Finanzierungsvorschläge. Die Schweiz investiere in Europa pro Kopf der Bevölkerung am meisten in das Eisenbahnnetz, 15 Prozent mehr als in das Strassennetz, führte der Präsident des VAP aus.
Die elementaren Fragen von zusätzlichen Ansprüchen an die Verkehrsinfrastruktur und den Finanzen zur Befriedigung dieser Ansprüche würden indessen überlagert durch andere Probleme teilweise von Bedeutung, teilweise aber von Alibicharakter.
So gebe es zum Beispiel die Kontroverse Strasse/Schiene. Es werde viel von Verlagerung geredet. Dabei bestehe aber nur beim Transitverkehr auf der Grundlage des Alpenschutzartikels ein gesetzlicher Verlagerungsauftrag. Landesintern seien die Ansprüche des Personenverkehrs geeignet, den Güterverkehr auf der Schiene zu verdrängen. Als weiteren kontroversen Bereich bezeichnete Steinegger die Fläche, den Wagenladungsverkehr und den Kombiverkehr. Hier gelte es, nicht voreilig nur eine technische und organisatorische Lösung des Gütertransportproblems vorzuziehen. Die eigentlichen Kostentreiber seien das Sortierproblem und der Umlad zwischen Bahn und Lastwagen, hielt Steinegger unmissverständlich fest. Investitionssicherheit sei dabei eine entscheidende Frage.
Der VAP-Präsident wies darauf hin, dass rund 90 Prozent der Güter, welche in der Schweiz befördert werden, innerhalb unseres Landes verschoben würden. Entsprechend dem Verfassungsauftrag und den gesetzlichen Bestimmungen konzentriere sich aber die Förderung des Schienengüterverkehrs auf den Transit. Beim Güterbinnenverkehr sei eine Verlagerung von der Schiene auf die Strasse festzustellen, eine Entwicklung, die der Bund eindämmen müsse. Als weiteren kontroversen Bereich bezeichnete Steinegger das Spannungsfeld Personenverkehr/Güterverkehr, bei dem vor allem die Unbeliebtheit des Güterverkehrs auf Schiene und Strasse zum Vorschein komme. Neben Infrastruktur und Betrieb brauche es grundsätzlich Innovationen, welche indessen Margen benötigten. Steinegger abschliessend: „Ideologische Scheingefechte führen nicht zum Ziel". Vielmehr sei Mut gefragt, die erforderlichen Investitionsentscheide zu treffen und die Finanzierung sicher zu stellen.
An der Medienkonferenz des VAP kommentierte Markus Vaerst, Mitglied der Geschäftsleitung der AAE AG, Baar, eine der grössten europäischen Güterwagenvermieterin, das vom Bundesrat vorgelegte Bundesgesetz über die Lärmsanierung der Eisenbahnen, das sich bis heute in der Vernehmlassung befindet. Vorab rief er in Erinnerung, dass 50% der Bahngüterverkehre in der Schweiz in ausländischen Wagen stattfinden, die vom neuen Lärmgrenzwert per 1. Januar 2020 betroffen wären. Er zeigte anhand der heute in Europa verfügbaren lärmarmen Güterwagen sowie der potentiell per 1. Januar 2020 zusätzlich verfügbaren lärmarmen Güterwagen auf, dass die Schweiz in einen Versorgungsengpass mit den wichtigsten Handelspartnern im Import- und Exportverkehr auf der Schiene zu geraten droht. Dies deshalb, weil auch ein Grossteil der ausserhalb der Schweiz existierenden Bestandswagen auf lärmarme Bremstechnologien umgerüstet werden müsste. Ohne eine staatliche Förderung der damit verbundenen sehr hohen Kosten (bis zu 15'000 CHF für einen vierachsigen Wagen) und entsprechende Anreizsysteme, wird die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene im Vergleich zur Strasse weiter erodieren. Er plädierte daher für eine aktive multilaterale Politik der Lärmreduktion mit den Haupthandelspartnerländern und eine Verfolgung des Anteils lärmarmer Wagen in den Güterzügen im Import-, Export, Transit- und Binnengüterverkehr. Damit könnte die Gefahr der Rückverlagerung der Verkehre von der Schiene auf die Strasse wegen der Lärmvorschriften auf der Schiene, eingedämmt werden. Vaerst sicherte die Unterstützung des VAP und seiner europäischen Partnerverbände bei diesem aktiven Prozess zu.
Jürgen Maier, verantwortlich für internationale Beziehungen in der BLS (stellvertretend für die Schweizer Güterverkehrsbahnen), unterstützt die Anstrengungen des BAV die Bevölkerung vor Lärmemissionen weitgehend zu schützen, sowie auch die Implementierung von lärmabhängigen Trassenpreisen seitens der europäischen Infrastrukturen. Er weist jedoch auch darauf hin, dass für die Güterverkehrsbahnen keine Zusatzkosten entstehen dürfen bzw. die Verkehrsverlagerung insgesamt keinen Nachteil erlangen darf.
Die Realisierung der Ziele in Form eines allfälligen Verbotes von lärmigen Wagen per 1.1.2020 ist unter Berücksichtigung von folgenden Faktoren wie Plausibilitätschecks der umzurüstenden Wagen und somit verfügbaren Kapazitäten in den Werkstätten, sowie einer wirtschaftlichen Verträglichkeit aller betroffenen Unternehmen und einer sinnvollen EU-Komptabilität zu prüfen.
Gilles Peterhans, technischer Koordinator der UIP, informierte an der Medienkonferenz über das Vorhaben der EU-Kommission für das im Raum stehende 4te Eisenbahnpaket aus Sicht der UIP als Dachverband der privaten Wagenhalter in Brüssel. Er betrachtet das 4te Eisenbahnpaket als konkrete Folge der im Weissbuch der EU-Kommission 2011 festgelegten verkehrspolitischen Strategie und sieht diese Gesetzgebungsmaßnahmen als weiteren Schritt in Richtung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums. Das heutige regulative Umfeld führe ständig, wie es die Anzahl Vertragsverletzungsverfahren beim EU-Gerichtshof bestätigt, zu gewollten und ungewollten Regelverstößen durch die Mitgliedstaaten gegen das EU-Gemeinschaftsrecht und hindere den Sektor, sich wirtschaftlich und effizient zu organisieren – zum Schaden der Verkehrsverlagerung. Die Stärkung der europäischen Eisenbahnagentur (ERA) sei dabei für ihn von zentraler Bedeutung, um die Beseitigung technischer, administrativer und rechtlicher Hindernisse beim Marktzugang zu erreichen und die Mitgliedstaaten und die zuvor geschaffene Vielzahl an nationalen Behörden auf eine gemeinsame europäische Linie zu trimmen.
Ob der Durchbruch für mehr Wettbewerbsfähigkeit im Schienengüterverkehr mit dem für Ende 2012 vorgesehenem 4ten Eisenbahnpaket gelingen wird, ist fraglich. Das neue Eisenbahnpaket ist aber für ihn als Bilanz der ersten drei Pakete eine einmalige Chance die Lücke zwischen Theorie (die rechtlichen Rahmenbedingungen) und Praxis (divergierende Anwendung durch die Mitgliedstaaten) endlich zu schliessen.
Frank Furrer, Generalsekretär des VAP, schliesslich wies in seinen Ausführungen an der Medienkonferenz auf die heutigen Stärken des Binnengüterverkehrs hin: Dichtes Anschlussgleisnetz, dichtes Eisenbahnnetz in alle Regionen, gute Leistungen der Güterbahnen, Kabotage-, Sonntags- und Nachtfahrverbot, LSVA und vor allem eine Bevölkerung, die eine Verlagerung des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene will. Indes seien diese Stärken gleichzeitig auch Schwächen: Im dichten Netz findet der Güterverkehr neben dem Personenverkehr keine oder nur qualitativ schlechte Trassen, SBB Cargo betreibt den Einzelwagenladungsverkehr im Auftrag des Bundes als Monopol und beherrscht den Ganzzugs- und den Kombiverkehr im Binnen-, Import- und Exportverkehr. Da SBB Cargo in einen Personenverkehrskonzern eingebunden sei, könne sie sich nicht genügend entfalten. Zudem können sich starke Partner nicht an SBB Cargo beteiligen. Der VAP erachtet daher die Verselbständigung von SBB Cargo zur Einräumung von mehr unternehmerischer Freiheit und eine schrittweise Öffnung des Binnengüterverkehrs auch für andere Güterbahnen als nötig. Im Gegenzug sei jedoch ein Verfassungsauftrag angezeigt, der den Bund zu einem Marktangebot im Schienengüterverkehr zur Förderung der Co-Modalität von Strasse und Schiene verpflichtet.
Weiter seien auf diesem neuen Weg flankierende Massnahmen nötig. Insbesondere müssten die Kantone gemeinsam mit der Wirtschaft diejenigen Wirtschafts- und Logistikstandorte festlegen, die auch mit der Bahn erschlossen werden sollen. Ihre effiziente Bedienung durch die Güterbahnen könne nur in einem gemeinsamen, transparenten Prozess mit den Bahnen erreicht werden, in dem die gesamte Logistikkette betrachtet werde. Bund und Kantone müssten in diesem evolutiven Prozess vom Monopol an einseitig von SBB Cargo festgelegten Bedienungspunkten zu einem Markt mit gemeinsam modelliertem Bedienungsraster in allen Produktionsformen (Ganzzüge, Wagengruppen, Einzelwagen, konventioneller Bahnverkehr und kombinierter Verkehr) beteiligt sein: Mit finanziellen Überbrückungsmassnahmen, der Gewährung besserer Netzzugangsbedingungen, der Einräumung höherer Netzkapazitäten und der Gleichbehandlung aller Kombinationsformen von Schiene und Strasse.
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